Geschichte
Jugend
von Niklaus von Flüe
Niklaus von Flüe wurde geboren auf dem Flüeli in der Pfarrei Sachseln um 1417 und ist gestorben im Ranft am 21. März 1487. Bei Niklaus von Flüe nimmt der «Ranft» als spiritueller und als realer Sehnsuchtsort in allen Lebensaltern eine wichtige Rolle ein: So erinnert er sich später, wie er als Kleinkind durch den Ranft zur Taufe getragen wurde. Als Jüngling sah er hier einen hohen, hübschen Turm. Als Erwachsener suchte er immer wieder den Ranft zum stillen Gebet auf.
Mit seinem Bruder Peter wuchs er auf einem ansehnlichen Hof auf. Über seine Jugend ist wenig bekannt. Wir wissen aus seinen späteren Schilderungen, dass er mit etwa 16 Jahren eine spirituelle und mystische Berufungserfahrung erlebt hatte. Tief in seinem Herzen trug er diese Erinnerung über all die Jahre mit sich mit. Aus Gründen, die wir nicht kennen, kam er zum Schluss, in diesem jungen Alter nicht der religiösen Berufung zu folgen. Vielmehr war er bereit, den Erwartungen der Eltern und der Umgebung gemäss den üblichen weltlichen Weg zu gehen. Das heisst: Den Hof der Eltern zu übernehmen, wie der Vater Vorsteher der Kilchgenossenschaft [Pfarrei] Sachseln zu werden und damit als Landesvorgesetzter [Richter und Politiker] in den oberen Führungszirkel des Standes Ob dem Wald aufzurücken.
Seine engsten Freunde zeichnen übereinstimmend ein positives Bild: Er liess sich nicht aus der Ruhe bringen und war wohl eher bedächtig und zurückhaltend. Der Zeit gemäss beteiligte er sich als junger Bursche an militärischen Auszügen, doch schätzte er das Kriegshandwerk nicht.
Historischer Hintergrund
Niklaus von Flüe, Nationalheiliger der Schweiz, im Volksmund «Bruder Klaus genannt, ist eine der herausragendsten Persönlichkeiten weit über die Landesgrenzen hinaus. Seine «friedensstiftende» Bedeutung im ausgehenden 15. Jahrhundert war enorm, sein Ruf ist auch heute noch ungebrochen legendär. Vielen Schweizern ist er ein Ratgeber! C.G. Jung bezeichnet ihn als den grössten Mystiker der Schweiz.

Ab 1465, nachdem er alle politischen Ämter niedergelegt hatte, war er zunehmend wegen seiner religiösen Berufung öfters abwesend. Schon früher hielt sich Niklaus von Flüe oft nachts in der Wohnstube auf. Hier rang er um eine Entscheidung für sein weiteres Leben. Sohn Hans hielt später im Sachsler Kirchenbuch fest: «Jede Nacht, wenn ich erwachte, habe ich den Vater in der Stube beim Ofen beten gehört, und zwar so lange, bis er in den Ranft ging.»
Berufung

Mittem im Leben
Um 1447 (ca. 30-jährig) heiratete er die etwa 15-jährige Dorothee Wyss, welche wohl ebenfalls einer Bauerfamilie entstammte. Sie konnte zu ihm in sein selbst gebautes Haus in der Schiblochmatte ziehen. So mussten sie nicht unter das gleiche Dach mit den Schwiegereltern ziehen und gründeten einen eigenen Hausstand. Sie waren rund 40 Jahre verheiratet, in denen Dorothee zehn Kinder gebar im Verlauf der ersten 20 Jahre.
Arbeit gab es reichlich auf dem Flüeli-Hof, besonders als sich die Familie gegen den Rat vieler entschloss, von der Felderwirtschaft auf die Viehwirtschaft umzustellen. Das Gesinde mehrte sich, denn für die Bereitung der Nahrung, der Vorräte und der Kleidung brauchte Dorothee Hilfe. Spätestens 1457 war er, Niklaus, der Vertrauensmann der Kilchgenossen von Sachseln und spätestens 1462 gehörte er den «Landesvorgesetzten», dem höchsten politischen und richterlichen Führungszirkel des Standes Obwalden, an. In praktisch jeder Hinsicht kann Niklaus von Flüe als erfolgreicher Bauer, Familienvater und Eidgenosse betrachtet werden. Er gewann das Ansehen seiner Nachbarn und Gemeindemitglieder. Eine Kandidatur für das Amt des Landammanns, der höchsten Würde des Standes Obwalden, lehnte er aber ab.
Niklaus war viel unterwegs in den Aufgaben seiner Ämter, auf den Almen und auf den Märkten. Und im Krieg! Und wenn er zuhause war, kamen Leute mit ihren Rechtsanliegen; es wurde neben dem Eingang des Hauses eine Ratsstube eingerichtet, in dieser konnte Niklaus vielen Menschen zu ihren Rechten verhelfen in dieser verworrenen Zeit. Manche warteten bei Dorothee in der Küche, bis Niklaus heimkam. Die Eltern waren froh, als die ältesten Söhne Hans und Walter mitanpackten auf dem Hof.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit war Dorothee Wyss deshalb schon in diesen Jahren der eigentliche Mittelpunkt der Familie. Die nächsten zwei Jahre waren, gemäss Niklaus’ eigenen Aussagen, geprägt von Depressionen, Zweifeln und Phasen der Niedergeschlagenheit. In dieser Zeit suchte er den Rat seines priesterlichen Freundes Heinrich Amgrund, der ihm zu regelmässigen Betrachtungsübungen riet. Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass in diesen Jahren der langjährige Konflikt zwischen dem erfolgreichen äusseren Lebensweg als Ehemann, Vater, Bauer und Ratsherr und dem inneren Lebensweg als Gottsucher, Fastender und Beter zu einem geradezu gewaltsamen Ausbruch kam und nach einer definitiven Lösung verlangte. Immer und immer wieder bat Niklaus seine Frau Dorothee, ihm ihr Einverständnis zu geben, sich in die Einöde zurückzuziehen, um ganz ein «einig Wesen» zu führen.
Schliesslich bekam Niklaus von Flüe die Zustimmung von Dorothee und den ältesten Söhnen und er verliess am 16. Oktober 1467, in der Absicht als Pilger zu wallfahren, seine Familie. Das jüngste Kind war 16 Wochen alt, die ältesten Söhne waren erwachsen und verheiratet. Wie vor einer langen und ungewissen Pilgerreise üblich, ordnete er den Nachlass und vertraute die Familie diesen erwachsenen Söhnen an.

Nach Gesprächen mit seinem Beichtvater Oswald Ysner, Pfarrer von Kerns, der den verunsicherten und zutiefst erschrockenen Mann beruhigen konnte, und von Visionen geleitet, liess er sich schliesslich im Ranft nieder, einer nur wenige 100 Meter von seinem Wohnhaus entfernt gelegenen Hangterrasse im Melchaatobel. Hier hatte er schon als Jüngling von seinem inneren Drang nach einem Leben in der Abgeschiedenheit erfahren und hierher hatte er sich immer wieder zum Gebet zurückgezogen. Diesen vertrauten Ort wählte er nach diesem schmachvollen und schmerzhaften Umweg für sein Leben in der Abgeschiedenheit. Freunde bauten ihm eine Kapelle und eine Klause. Seine Familie hätte damit lieber noch zugewartet. Wahrscheinlich fürchtete sie, sie hätten die Kosten zu tragen, falls er wieder nach Hause zurückkehren würde.
Seine «cluss» (Klause) bestand aus zwei Zimmern, die an die Kapelle angebaut waren. Im unteren Zimmer verfügte er über einen kleinen Ofen, doch konnte er, der 178 cm gross war, dort nicht aufrecht stehen. Im oberen Zimmer gab es je ein Fenster zur Kapelle und ins Freie.
Einen Grossteil des Tages widmete Bruder Klaus, wie er sich nun nannte, der Betrachtung und dem Gebet. In der Nähe wohnte mit Bruder Ulrich im Mösli ein weiterer Einsiedler und ab 1477 lebte als erster Ranftkaplan auch der frühere Pfarrer von Horw, Peter Bachtaler, im Ranft. Dazu unterbrachen immer wieder Besucher aus nah und fern die Stille. Mehr und mehr wurde er als Ratgeber und zunehmend als spirituelles Vorbild bekannt und gesucht.
Spirituelles Vorbild

Tiefpunkt
In den Tagen nach dem Abschied und bis zur Rückkehr, wohl anfangs November 1467, durchlebte er eine existenzielle Krise, die all seine Pläne zunichte machte und ihn zu einer Rückkehr zwang, die er so nicht geplant hatte. In einer Nacht am Ergolz, dem Flüsschen, das durch Liestal fliesst, endete der Pilgerweg des Niklaus von Flüe durch eine Engelserscheinung und es begann das Eremitenleben des Bruder Klaus. Liestal steht geografisch fassbar und zugleich symbolisch für ein existenzielles Scheitern.
Von diesem Tiefpunkt seines Lebens wissen wir mit erstaunlicher Ausführlichkeit, weil er selbst darüber sprach. So erzählte er später, dass er, als er wieder auf das Flüeli zurückkehrte, nicht ins eigene Haus zurückkehrte, sondern im Stall bei den Kühen übernachtete und sich anschliessend auf die Alp Chlisterli zurückzog. Die Familie merkte davon nichts. Erst Tage später, als Jäger zufällig auf ihn stiessen, erfuhren sie von seiner Rückkehr.

Heilige Inquisition
So wurde er der geistlichen Probe durch seinen Beichtvater Oswald Ysner, der sozialen und gesellschaftlichen durch seine Nachbarn und Freunde sowie der politischen Kontrolle durch die Behörden von Ob dem Wald und selbst des Habsburger Erzherzogs Sigmund unterzogen. Und vor allem erfolgte am 27. April 1469 eine kirchliche Kontrolle, über die wir gut und zuverlässig informiert sind und bei der auch der Berner Patrizier Adrian von Bubenberg zugegen war. Diese kirchliche Kontrolle erfolgte im Auftrag des Bischofs von Konstanz, dem gebürtigen Thurgauer Hermann von Breitenlandenberg. Viele Menschen aus der näheren Umgebung, «beiderlei Geschlechts, sowohl geistliche als weltliche», schrieb Bischof Hermann, würden «täglich oder bei passender Gelegenheit jenen Niklaus und seine Wohnstätte» besuchen, «indem sie glauben, er sei ein heiliger Mann».
Bei der Wahl der geeigneten Mittel überliess er seinem Weihbischof Thomas Wäldner, einem Ordensmann in der Nachfolge des Franz von Assisi, freie Hand. Dieser unterzog deshalb den Mann, der als «heilig gilt, weil er nichts isst», nicht nur einer Gehorsamsprobe, sondern einer eigentlichen Gottesprobe. Heiliger oder Hexer, Wahnsinniger oder Auserwählter, das war die Frage. Der Weihbischof forderte Niklaus von Flüe auf, im Namen des heiligsten Gehorsams drei Bissen Brot zu essen und vom «St.-Johannis-Segen» zu trinken. Dabei handelte es sich um Wein, der am Feiertag des Apostels Johannes (27. Dezember) gesegnet worden war und dem besondere Kräfte im Kampf wider den Teufel zugetraut wurden. Da Niklaus von Flüe dieses Examen bestand und den bischöflichen Segen erhielt, weihte Thomas Wäldner die Kapelle im Ranft auf die von Niklaus von Flüe gewählten Schutzpatrone.
Der «Rätselmann im Ranft»
Dabei gab es «etwas», das Niklaus von Flüe trotz aller persönlichen Bescheidenheit von den Mitmenschen unterschied. Seit er durch die nächtliche Erscheinung vor Liestal zur Umkehr gewogen worden war, ass und trank er nichts mehr. Es war diese fast 20-jährige Abstinenz von Speise und Trank, die seinen Ruf weit über die Innerschweiz und die Eidgenossenschaft hinaustrug.
Man mag gegenüber dieser Abstinenz skeptisch sein. Viele Menschen waren und sind es. Historisch-kritisch bewertet ist diese Abstinenz jedoch gut und glaubwürdig belegt, auch wenn sie naturwissenschaftlich nicht erklärbar ist. Wir setzen «auf jene weise Toleranz der Zuhörerinnen und Zuhörer, die mehr Dinge zwischen Himmel und Erde für möglich hält, als die Wissenschaft der Universität sich träumen lässt» (Gertrud und Thomas Sartory). Die Abstinenz ist ein entscheidender Zugang zu diesem «Rätselmann im Ranft».


Nahe Gott und nahe den Menschen
Niklaus von Flüe fühlte sich Gott und den (Mit-)Menschen nahe und verbunden. Dabei war er kein Prediger oder Prophet. Er lehrte nicht durch Worte, sondern durch sein Beispiel. Die langjährige Abstinenz war der ihm gemässe Ausdruck des Loslassens von Ich-Bezogenheit und von irdischen, sprich sterblichen Dingen. Wir gehen nicht fehl, wenn wir darin eine Botschaft zur Genügsamkeit erkennen. Niklaus von Flüe hielt sich mit Äusserungen zu seiner Abstinenz, die er als Gnade empfand, zurück und liess sich von hartnäckigen Fragern nicht mehr denn ein «Gott weiss» entlocken.
Quellen
Bilder
von der Homepage bruderklaus.com
Texte
von der Homepage bruderklaus.com und nvf.ch
Einführung in Leben und Wirken von Niklaus von Flüe
Aufsatz von Dr. Roland Gröbli im Auftrag des Trägervereins «600 Jahre Niklaus von Flüe 1417–2017»,
Dorothee Wyss von Flüe 1430/2–1495/6
Leben und Bedeutung einer aussergewöhnlichen Frau
von Dr. Roland Gröbli

